Weiblicher Wagemut
Bleiben wir doch noch ein bisschen (viele kleine Bisse führen zum Erkenntnisgewinn?) beim Rätsel um den weiblichen Zugang zu Wein. Mir ist ja eher ein Rätsel, weshalb dieser ein anderer sein sollte und halte unterschiedliche Verläufe der Weinsozialisation für ausschlaggebend, vor allem aber Erfahrung und zunehmendes Wissen für die wesentlichen Komponenten.
Etikettentrinker gibt es freilich da wie dort („Marke" vs. „Ästhetik" wäre allerdings Ausdruck von geschlechtsspezifischer Sozialisation), die wären dann wohl auch die Zielgruppe für eine eigene Zeitschrift – aber sonst?
Enigmatisch ist für mich nur die Legende vom weiblichen Wein, aber das ist eine andere Geschichte.
Wohl aber will ich eine Vermutung anstellen, die die Freiheit im Umgang mit Wein betrifft – wobei wir wieder bei einem Aspekt der Sommelier-Diskussion wären. Wenn ich mir nicht ohnehin eine Flasche Weines nach meinem Gutdünken wähle, sondern den Empfehlungen folge, so fallen diese meistens sehr solide und, wenn man so will, klassisch geschult aus: Kombinationen, die in jedem Lehrbuch nachzulesen sind und selten den Rahmen des bereits zur Genüge Bekannten sprengen. Die Darreichung erfolgt in der Regel durch männliche Hände – und so ist die Wahrscheinlichkeit, dass mit Namen brilliert wird, statt die Spannung im noch zu Entdeckenden zu suchen, groß. (Meine Herren, ich weiß, eine Unterstellung, aber die einzige erlebte Statistik, die mir zur Verfügung steht).
Das ersehnte Kontrastprogramm, die Hinführung zu einem erinnerungsträchtigen Erlebnis, das Tänzeln abseits von ausgetretenen Wegen (wann haben Sie eigentlich das letzte Mal einen älteren Jahrgang angeboten bekommen, da, wo der Wein erst richtig zum Wein wird?) sind Seltenheit, am ehesten zu finden in unbekümmert jungen Händen – oder in weiblichen, wie das folgende Beispiel illustriert.
Das Szenario: Eine Frau (ohne Begleitung) gönnt sich die Bewirtung durch eine andere Frau; Überraschungsmenü in fünf Gängen mit passenden Weinen.
Der Aperitif ist auf Wunsch der Gästin noch sehr konventionell, aber Alois Gross ist ein so lieber Winzer, dass sein Muskateller immer passt. Zum Salat vom Pulpo, der in seinen Garnierungen mit Süße und Schärfe spielt, kommt ein Rosé, ein ungarischer noch dazu, Cabernet-Merlot, und kann seine tragende Rolle in diesem Gefüge wunderbar erfüllen. Zur kräftigen, leicht abgeschmalzten Selleriesuppe steht zur Wahl: ein Weizenbier, im Champagnerglas serviert, sowie ein Torcolato 1993 – beides hat seine Berechtigung: das Bier enthebt die deftige Suppe in flüchtigere Sphären, der markante Süßwein verleiht hingegen zusätzliche Tiefgründigkeit.
Zweierlei auch zum Hauptgericht (die Tafelspitzravioli kamen mit dem Bier aus, da die Wirtin gerade im Weinkeller unabkömmlich war), einem Rindsfilet mit Orangenpolenta: ein Crozes Hermitage 1999, der dem Fleisch gut stand, aber die Polenta ganz verdrängte, während der Riesling Kabinett 1992 (!) „Prinz" von Kirchmayr (eigentlich bekannter als Mostviertler Birnensektproduzent) seine Reife (Orangenschalen, Heu, Medizinalkräuter) voll ausspielen konnte und sich als genialer Partner für das Gericht in seiner Gesamtheit präsentierte. Serviert übrigens im großen Chardonnay-Glas, nicht zu kalt, und so in seiner ganzen Geschmeidigkeit erfassbar.
Zum Dessert (Safranparfait und Tiramisucreme mit Kirschen) rundete die Weißburgunder-Beerenauslese 2002 von Niki Moser ab; das Schnapsl danach war aus dem umfassenden Kössler-Sortiment die Zwetschke aus dem Maulbeerfass: markante Holzsüße.
Was der große Spaß an der Sache war: der Wagemut. Z.B. Bier neben Wein zu stellen. Sich vor alten Jahrgängen nicht zu schrecken. Völlig respektlos einen Crozes Hermitage ins Eck zu drängen.
Meine Hypothese also: Frauen müssen kein Revier verteidigen und können so in aller Freiheit agieren.
Der Ort des Geschehens und die handelnden Personen:
Angerer Alm, St Johann in Tirol (hoch am Berg also). Die Wirtin: Annemarie Foidl. Die Gästin: Ihre ergebene –ad-
(17.07.05 auf speising.net)
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